Sinnlichkeiten im Wandel – Gesten, die aus dem Hintergrund hervortreten

Lachenmann Art 15.10.—5.12.2025

Über die Werke von Jukka Rusanen könnte man sagen, ähnlich wie über den Rokoko-Maler Watteau: Seine leichten, eleganten Werke haben einen melancholischen Unterton. Die verführerische Schönheit ist mit einem Gefühl der Vergänglichkeit, der Unerreichbarkeit verbunden.

Rusanens Werke zeichnen sich durch eine besonders starke Verbindung zur langen Geschichte der Malerei aus. Sein spontaner, facettenreicher, in räumlicher Freiheit schwebender Pinselstrich nutzt die Tradition auf virtuose Weise. Es ist, als wären die faszinierendsten Gesten der Malerei im offenen Raum der Bildoberfläche eingefangen und zum Genießen da.

Jean-Antoine Watteau (1684–1721) diente als der gedankliche Vorbote für Rusanen. Genauer gesagt geht es um eine abgewandte Figur, von der wir im Gemälde Fête champêtre nur ein raschelndes, in wunderschönen Rosatönen schimmerndes Seidenkleid erahnen.

In Watteaus Fêtes galantes – Gemälde, die galante Feste im Schoß der Natur darstellen – stehen Realität und Illusion, echte Gefühle und Vortäuschung in einem charmanten, wenn auch traurigen Flirt miteinander. In den Gärten der Suche nach dem magischen, wundervollen Glück und Liebe wird die Situation oft von einer vom Betrachter abgewandten Figur beobachtet. Anstatt zu posieren und beobachtet zu werden, beobachtet er das Treiben von Abseits. Ich denke, diese Figur findet sich auch in Rusanens Werk wieder. Als kritischer Betrachter sieht er die Malerei, das Gemälde, als eine Ansammlung kultureller Kräfte und Praktiken, in denen Kunst heute stattfindet. In seinen neuesten Werken ist die Figur aus der Bildoberfläche herausgetreten, hat sich vom Hintergrund erhoben.

Teoksessa Profane Observations valoa heijasteleva draperia on romahtanut torsoine raajoineen puoliksi lattialle. Se on ikään kuin sylkäisty ulos maalauksen viettelevästä maailmasta. Rokokoon sinitaivas on langennut syksyisen maiseman eteen. Illuusio maalaustaiteen keskeisenä toimijana on kyseenalaistettu ja pantu pois viralta. Toisaalla teoksessa Sublime taitoa, käsityötä, aikaa ja vaivaa vaatineeseen kudonnaiseen kääriytynyt hahmo seisoo ylväänä, ilmanalan ja taivaan sävyjä kuvastavan, historialliselle muotokuvamaalaukselle tyypillisen ovaalin maalauksen edessä. Hahmo koostuu taiteilijan itsensä kutomasta pellavakankaasta. Perinteisesti pellava on toiminut maalaustaiteen illuusioiden alustana. Tässä se on ilman illuusioita itsessään läsnä, ikään kuin katsomassa omaa muotokuvaansa.

In Profane Observations ist die lichtreflektierende Draperie, wie ein Torso, halb zu Boden gefallen. Es ist, als wäre sie aus der verführerischen Welt des Gemäldes ausgespuckt worden. Der blaue Rokoko Himmel hat sich vor die herbstliche Landschaft gelegt. Illusion als zentraler Akteur in der Malerei wird in Frage gestellt und verworfen.

An anderer Stelle in der Arbeit Sublime steht eine Figur in einen gewebten Stoff gehüllt, der Geschick, Handwerkskunst, Zeit und Mühe erforderte. Er steht majestätisch vor einem ovalen Gemälde, das die für die historische Porträtmalerei typischen Töne der Atmosphäre und des Himmels widerspiegelt. Die Figur besteht aus Leinenstoff, den der Künstler selbst gewebt hat. Traditionell dient Leinen in der Malerei als Plattform für Illusionen. Hier ist es in sich selbst präsent, ohne Illusionen, als schaue es auf sein eigenes Porträt.

Nach meine Interpretation behandelt Rusanen die Bedeutungen und Beziehungen der Malerei mit ihrem Publikum und der Gesellschaft, sowie die Berührungsflächen mit den Erfahrungsdimensionen der Menschheit. Werke, die die Kunstkonzepte verschiedener Epochen repräsentieren und Künstler und Betrachter, geprägt mit jeweilige kulturelle und situative Färbung, durchschimmern, kreuzen und überlagern sich in den Reflexionen dieser Ausstellung. Sie verwandeln sich abwechselnd in Objekte und Subjekte, Betrachter, Betrachtete und Schöpfer.

Die Ausstellung basiert auf einer bewussten Sorge: Funktioniert Kunst heute als verbindender Faktor? Wird es nur als Luxusartikel wahrgenommen, der, in der verführerischen Art der Rokoko-Gemälde, eher soziale Spaltung und Eitelkeit hervorhebt und bloßstellt?

Vorboten, im Form von wagen und flüchtigen synästhetischen Bildern, spielen im Werk des Malers eine zentrale Rolle. Mit Vorbote meine ich einen aktivierenden Faktor, der den Geist fasziniert und den der Künstler nicht bewusst wählt. Er erscheint dem Geist unerwartet, zum Beispiel als Musikstück, als Körperempfindung oder, wie in Jukkas Fall, als fragile Erinnerung an ein Detail in einem Gemälde. Das Werk ist um den Vorboten herum strukturiert und zielt auf ihn ab. An sich stellen Vorboten zeitlose Verbindungen im künstlerischen Schaffen dar. Es geht nicht nur um eine Beziehung zur Tradition der Malerei, sondern um einen unspezifischen, intuitiven Kontakt mit etwas Unbewusstem, das sich nicht in Worte fassen lässt, etwas zutiefst Bedeutungsvollem in Bezug auf Vitalität. Der Künstler schöpft aus dem Vorbote Vitalität, aus der der Wunsch entsteht, an dem Werk zu arbeiten. Aus den Vorboten werden Fäden, Versen und Strahlen aus einer anderen Zeit, Werten und Daseinsformen extrahiert. In seinen Werken, verführt von den Vorboten, erkundet und bearbeitet Rusanen die Möglichkeiten der historischen Werte und Haltungen der Malerei – eigentlich der Malerei im Allgemeinen –, uns weiter zu berühren und zu beflügeln. Damit meine ich beispielsweise die Bedeutungen der Arbeit an und der Betrachtung von Stillleben oder Porträtmalerei, die in der zeitgenössischen Kunstpraxis oft marginalisiert werden.

Von den historischen Stilen nähert sich Rusanen in seinen Werken insbesondere den Schönheitsidealen der klassischen Kunst sowie dem Rokoko-Wunsch nach leichtem, sinnlichem Genuss an. Aus diesen Weltanschauungen bringt er uns Fragmente zum annähern, angepasst an die Gegenwart. Es ist, als würde er aus vergangenen, bereits in ihren gesellschaftlichen Relevanz erblassten Bildmotiven und -inhalten, ihre zeitlose ästhetische Essenz freilegen. Für den Begriff ästhetisch verweise ich auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes aisthêtikos, sinnlich wahrnehmbar. Ich meine damit Multisensorik, die Grundlage unseres Weltverständnisses. Ästhetik im Sinne eines multisensorischen Ausdrucks manifestiert sich in Rusanens Werken in nuancierten Empfindungen aus, beispielsweise von Atmosphären und Licht, von Gesten, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, Gewichtung und Ausprägung nähern und wieder entfernen, und die sich nicht auf die Wahrnehmung einer einzigen Sinnessphäre beschränken lassen. Diese Elemente, die physisch spürbar sind, sich aber der verbalen Artikulation entziehen, sind ein zentraler Bestandteil von Rusanens Werken. Sie fungieren gleichsam als Brücke zur Sinneserfahrung des Betrachters.

In einem von Eile, Informationsüberflutung, sozialen Medien und Manipulation in unterschiedlichem Ausmaß geprägten Lebensstil sind Orte, an denen wir unser Inneres erforschen können, rar geworden.

Eine der schönsten Eigenschaften der Malerei ist der Raum und die Offenheit, die sie dem Betrachter für assoziatives Denken und eigene Interpretationen bietet. Statt analytische Informationen zu produzieren, zielt Malerei auf ästhetische Resonanz und Begegnung, auf den Aufbau einer Verbindung zu sich selbst und der Welt. Wenn ein Kunstwerk einen Weg zum bisher Unbekannten öffnet und ihn erfahrbar macht, belebt es gleichzeitig seinen Schöpfer. Der Betrachter hat auch die Möglichkeit, sich von dem Werk auf der Grundlage seiner eigenen ästhetischen Resonanz berühren zu lassen.

Uns eint das Bedürfnis nach Belebung, nach einer spürbaren Verbindung zu uns selbst und damit zu unserer Existenz in der Welt. Kunst fungiert dabei als Sinnesführer. Als Raum für die Begegnung von Privatheit und Intimität ist sie paradoxerweise ein Vermittler, der Verbindung fördert.

Tarja Pitkänen-Walter

Anmerkungen zur Übersetzung

Ich habe lange überlegt, wie ich das vielschichtige, mehrdeutige, sehr zentrale Wort “Airue” am besten übersetzen soll. Ich habe durchgängig den Begriff “Vorbote” benutzt, weil er mir als treffend und dabei lesbar und zugänglich scheint. Man könnte es auch eventuell durch “Herold” ersetzen, je nach Geschmack. Meiner Meinung nach ist Vorbote aber näher ran an das Finnische Begriff.

Ich habe die ursprüngliche Formatierung beibehalten. Das beinhaltet die Benutzung von Kursivschrift für Werktitel und Zitate.

Mit einer Ausnahme: Die Benutzung des Gedankenstrichs. Ich habe die an diesen Stellenim Original verwendeten Bindestriche durch Halbgeviertstriche ersetzt.